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Arthouse, Film, Freizeit, Hamburg, Kritik, Kultur, Kunst, Kurzkritik, Literatur, Rezension, Theater
Yasmina Rezas nervenaufreibendes Kammerspiel „Der Gott des Gemetzels“ zählt spätestens seit der genialen Verfilmung von Roman Polanski zu meinen absoluten Lieblingstheaterstücken. Eigenartig nur: ich habe das Stück in Buchform gelesen, zigmal als Film geschaut und kann manche Dialoge mittlerweile sogar mitsprechen – aber trotzdem hatte ich es noch nie auf einer richtigen Theaterbühne gesehen! Dies sollte sich am ersten Weihnachtsfeiertag ändern, als ich mit meiner Familie ins Schauspielhaus Hamburg ging, um dieses Stück endlich in einer Aufführung anzuschauen.
Wie im Buch und im Film ist das Bühnenbild sehr reduziert: vier Stühle, ein paar Wohnzimmer-Accessoires, eine Tulpenvase. Viel Raum also für vier überaus gegensätzliche Protagonisten, zwei Ehepaare, die sich in den nächsten 1 1/2 Stunden ordentlich fetzen werden. Anlass für das Treffen ist die Schlägerei, die sich zwischen ihren Söhnen zugetragen hat. „Man kann doch über alles vernünftig reden, wir sind doch Erwachsene“, so das Motto, das von Anfang an die Atmosphäre in diesem gutbürgerlichen Wohnzimmer dominiert. Doch je länger diese vier gegensätzlichen Menschen miteinander reden, kommen immer mehr unterschwellige Konflikte an die Oberfläche. Die guten Manieren sind im Nu vergessen, das harmlose Gespräch zwischen den zwei Ehepaaren eskaliert!

Der Gott des Gemetzels im Schauspielhaus Hamburg / Ⓒ Sandra Then
Die Schauspieler brauchen zwar eine Weile bis sie in Fahrt kommen, aber dann wird dem Zuschauer ein ergreifendes Spektakel geboten, bei dem an bitterbösen, verletzenden und zuweilen zynischen Aussagen nicht gespart wird. Alle Protagonisten werden mit all ihren Ecken und Kanten gezeigt und alle Darsteller verstehen es sie authentisch und lebensnah zu verkörpern. Da ist zum Beispiel die idealistische Véronique, die allen mit ihrem ständig erhobenen moralischen Zeigefinger gehörig auf die Nerven geht. Ihr Mann Michel hat derweil längst resigniert, sich mit seiner eigenen Mittelmäßigkeit abgefunden und äußert nur noch lebensfeindliche Ansichten. Der schmierige Anwalt Alain schlägt sich beruflich mit einem Pharmakonzern herum – und lässt die anderen, sehr zu ihrem Leidwesen, an seinen fragwürdigen Machenschaften teilhaben. Auch bei seiner Frau Annette, die in ihrem Business-Outfit zunächst noch sehr souverän wirkt, fängt die lange aufrecht erhaltene Fassade im Laufe des Gesprächs an zu bröckeln.
Geniales Stück, großartige Dialoge – auf eine Weise schreiend komisch, weil man selbst die vielen kleinen bösen Seitenhiebe aus eigener Erfahrung kennt, gleichzeitig aber auch erschreckend, wie sehr sich diese Charaktere mit Worten schlichtweg zerfleischen. Aber wahrscheinlich ist es gerade das, was mich an Yasmian Rezas Stück immer wieder fasziniert. Der nächste Theaterbesuch kommt bestimmt – schließlich ist „Der Gott des Gemetzels“ eines der meistaufgeführten Stücke Deutschlands. Völlig zu recht!