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Schlagwort-Archiv: Paris

Michel Houellebecq – Unterwerfung

02 Mittwoch Mrz 2016

Posted by sommerdiebe in Literatur

≈ 5 Kommentare

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Freizeit, Geschichte, Kritik, Kultur, Kunst, lesen, Literatur, Paris, Politik, Rezension, Roman

Viel ist schon geschrieben und diskutiert worden über Houellebecqs „Unterwerfung“. Schwierig, sich da einzureihen. Doch einen Versuch ist es wert. In dieser Rezension möchte ich daher einfach mal drauflos schreiben, was mich persönlich an Houellebecqs Roman fasziniert hat.

Michel Houellebecq: UnterwerfungIst Houellebecq ein Prophet? Diese Frage drängt sich geradezu auf, wenn man „Unterwerfung“ liest und dabei an die jüngst verübten Anschläge in Paris denkt. Denn auch hier spielen bereits zu Beginn der Erzählung bürgerkriegsartige Zustände eine tragende Rolle: Die politische Situation wird als verquast und unübersichtlich beschrieben, denn weder die Sozialisten, noch der rechtspopulistische Front National noch die Bruderschaft der Muslime (ja, der Roman spielt im Jahr 2022) können eine klare demokratische Mehrheit für sich gewinnen. Im Laufe des Romans kristallisiert sich jedoch immer mehr ein neues gesellschaftliches Modell heraus, an dessen Spitze die Maximen des Islam stehen: das Patriarchat wird in Frankreich neu etabliert. Der Islam wird die dominierende Religion Westeuropas und setzt sich konsequent über westliche Werte und Normen hinweg.

Diese politische Ebene des Romans wird auf sehr kunstvolle Weise mit der Geschichte eines Einzelnen verwoben. Bei Houellebecq handelt es sich hierbei ohne Frage um einen sehr genauen Beobachter seiner Zeit. Nicht nur in politischen Belangen merkt man sein enorm großes Hintergrundwissen, auch die vielen Details seines Romans sind gut recherchiert und eröffnen dem Leser einen tiefgründigen Einblick sowohl in die Kultur-, Literatur- und Geistesgeschichte, als auch in die private Gedankenwelt eines recht durchschnittlichen Bürgers aus dem akademischen Milieu. Hauptfigur Francois forscht schon seit Jahren über den berühmten dekadenten Schriftsteller Joris-Karl Huysmans und treibt seine akademische Karriere an der Pariser Elite-Uni Sorbonne eher aus Mangel an Alternativen als aus wirklich tiefer Begeisterung für die Lehre voran. Die elitäre Uni-Welt bekommt im Roman mehr als einmal ordentlich ihr Fett weg: Oft werden nicht die fähigsten Dozenten befördert, sondern die, die über die richtigen intimen Kontakte zu (weiblichen oder männlichen) Vorgesetzten verfügen. Und nach dem Studium bleiben einem Absolventen eines schöngeistigen Faches wie Literaturwissenschaften oder Philosophie nur wenig attraktive Job-Aussichten. Wirklich ein düsterer und überaus pessimistischer Blick, mit dem Houellebecq hier das französische Bildungssystem betrachtet.

Im Laufe des Romans wird die renommierte Sorbonne zur islamischen Universität erklärt

Im Laufe des Romans wird die renommierte Sorbonne zur islamischen Universität erklärt

Houellebecqs Gesellschaftkritik ist sowieso eng mit der Entwicklung seiner Hauptfigur verbunden. Literaturdozent Francois hat eigentlich alles, was er nach Vorstellungen der modernen Konsumgesellschaft haben müsste, um einigermaßen glücklich zu sein: einen soliden Job an der Uni, genug Geld, um sich Lieferservice, Urlaube und andere Annehmlichkeiten zu leisten – und doch ist er zutiefst unglücklich. Statt sich zu fragen, was er wirklich im Leben erreichen möchte, statt sich damit auseinander zu setzen, was der Grund für seine innere Leere und emotionale Gefühlslosigkeit sein könnte, entscheidet sich Francoise für den einfachsten Weg, forscht und lehrt weiter vor sich hin, geht lose Beziehungen zu jungen Studentinnen ein und betäubt seine Einsamkeit mit Alkohol.

Nein, Francois ist durch seine Handlungsweise kein Sympathieträger, aber durch seine Fehler doch zutiefst menschlich. Auch aus diesem Grund möchte man als Leser zu gern wissen, wie dieser seinen weiteren Lebensweg beschreiten wird. Houellebecqs Roman ist meiner Meinung nach vor allem ein Buch über die Suche nach Sinn: Seine Hauptfigur begibt sich im Laufe der Handlung nicht nur auf die Spuren seines Idols Huysmans, um endlich aus dem Kreislauf aus innerer Unzufriedenheit, depressiven Verstimmungen und unbefriedigender Arbeit auszubrechen. Am Ende geht er – wie fast schon zu erwarten war – schließlich (vermutlich) auch der neu etablierten Staatsreligion des Islam auf den Leim. Denn hier kann er seine individuellen Bedürfnisse erfüllen: gesellschaftliches Ansehen, ein überdurchnittliches Gehalt und drei bis vier persönlich für ihn ausgewählte Ehefrauen inklusive.

Genauer Beobachter seiner Zeit: Michel Houellebecq

Genauer Beobachter seiner Zeit: Michel Houellebecq

Allein schon diese Wendung ist eine gut gelungene Pointe, die ein bitteres Porträt einer (zukünftigen) Gesellschaft zeichnet, der es eigentlich im Grunde gar nicht auf den Glauben ankommt, sondern die Religion lediglich dazu nutzt, um persönliche Vorteile zu erlangen. Die konservative Haltung des Islams gegenüber der Rolle der Frau, die propagierte Polygamie und viele weitere Richtlinien werden von charismatischen Männern wie dem neuen Universitätspräsidenten Robert Rediger nur zu gerne akzeptiert. In Wahrheit handelt es sich bei diesen zum Islam konvertierten Romanfiguren um ehemalige Anhänger der politischen Rechten, um Menschen ohne tiefe Überzeugungen, die ihr Fähnchen nach dem Wind drehen und wenig Rückgrat besitzen. Macht und Geld sind letztendlich die beiden Hauptmotive, die sie antreiben.

Gerade durch die unzähligen Verweise auf Politik, Literatur, Philosophie und Gesellschaftsfragen ist Houellebecqs Roman auf jeden Fall eine sehr fordernde Lektüre – aber genau das hat mir auch gefallen. Wenn man sich einmal auf dieses gut durchdachte und intelligente Gedankenspiel eingelassen hat, möchte man dieses vielschichtige Buch gar nicht mehr aus der Hand legen. Houellebecq wirft Fragen auf, die man sich teilweise noch gar nicht gestellt hatte, regt zum Nachdenken an und ist hierbei wahnsinnig aktuell, weil er die Themen, Ängste und politischen Belange der heutigen Zeit pointiert aufgreift und zur Debatte stellt. Dieser Roman stand wirklich mal zu Recht für Wochen auf der Bestsellerliste!

Das war also mein erster Houellebecq. Viel Denkstoff! Welchen seiner Romane sollte ich Eurer Meinung nach als Nächstes auf meine Leseliste schreiben, irgendwelche Tipps? 😉

Lesen 2015 – mein persönlicher literarischer Jahresrückblick

12 Samstag Dez 2015

Posted by sommerdiebe in Literatur

≈ 6 Kommentare

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Alltag, Bücher, Freizeit, Kritik, Kultur, Kunst, Kurzkritik, lesen, Lieblingsliteraten, Literatur, Paris, Rezension, Roman, Schriftsteller, Tipps

Das Jahr neigt sich dem Ende zu, Weihnachten steht vor der Tür. Wie schon 2013 und 2014 möchte ich auch in diesem Jahr in meinem Blog auf mein persönliches Lesejahr zurückblicken. Vielleicht ist für Euch ja noch die eine oder andere Geschenkidee dabei? Viel Spaß beim Durchstöbern meiner Leseliste!

Meine Top 3:

1. Markus Werner – Am Hang

Markus Werner - Am HangGanz klar: meine persönliche Nummer 1. Kann einfach gar nicht anders sein. Dieses Buch hat mich im Sommer sofort in seinen Bann gezogen, manchmal hätte ich fast vergessen rechtzeitig aus der S-Bahn auszusteigen – kurzum: wirklich verdammt spannend geschrieben und dabei auch durchaus tiefgründig. Erzählt wird die (schicksalshafte) Begegnung zweier Männer, die sich während eines Urlaubs immer näher kommen und in einem immer intimer werdenden Gespräch über die Liebe und das Leben mehr Gemeinsamkeiten entdecken als ihnen lieb ist. Einfühlsam geschildert – großartig!
–> Hier geht’s zu meiner begeisterten Rezension.

 

2. Iwan Gontscharow – Herrlichste, beste, erste aller Frauen

Iwan Gontscharow - Herrlichste, beste, erste aller FrauenNicht nur ein sehr schönes Buch – türkisblau, mit weichem Leineneinband (ja, ich liebe ästhetisch gestaltete Bücher), auch der Inhalt hat mich überzeugt. In diesem Bändchen sind Iwan Gontscharows Liebesbriefe an die Moskauer Adelige Jelisaweta Tolstaja versammelt. Durch jede seiner sorgsam komponierten Briefzeilen schimmert seine leidenschaftliche Liebe zu der bildhübschen Frau durch – eine Liebe, die jedoch sehr zu seinem Bedauern nicht erwidert wurde. Mehr als Freundschaft wurde nicht draus – wir Leser können uns allerdings freuen, dass wir heute immerhin in den romantischen Briefen lesen können. Wenn ein Mann so schreiben kann…hachja…seufz!

3. Eugen Ruge – In Zeiten des abnehmenden Lichts

in_zeiten_des_abnehmenden_lichts„DDR-Buddenbrooks-Roman“ stand hinten im Klappentext, doch zum Glück ließ ich mich davon dann doch nicht abschrecken – sonst hätte ich einen außergewöhnlichen Roman verpasst. Eugen Ruge widmet sich in seinem Roman 4 Generationen einer Familie, die allesamt mehr oder weniger mit dem Sozialismus konfrontiert werden. Der Autor springt dabei immer wieder in die verschiedenen Zeitebenen und zeigt auf diese Weise, wie sich politische Ideologien, aber auch persönliche Einstellungen wandeln können. Trotz der recht komplexen Figurenstruktur des Romans ist es dem Autor gelungen, dass man als Leser nie den Überblick verliert. Jede Figur bleibt auf ihre eigene Art im Gedächtnis und tragen zu einem spannenden Leseerlebnis bei. Hier habe ich schon mal über das Buch geschrieben.

Lieblingsbuchcover: Paul Theroux – Der Fremde im Palazzo d’Oro

palazzo_d_oroDieses Buch habe ich spontan als „perfektes Swimmingpool-Buch“ bezeichnet – anders kann man „Der Fremde im Palazzo d’Oro“ mit dem hübschen Einband in Kombination mit dem schicken Foto eigentlich meiner Meinung nach auch gar nicht treffender beschreiben. Und der Inhalt? In diesem Roman geraten die Gefühle in der brütenden sizilianischen Sommerhitze ordentlich in Wallung: ein junger Kunststudent lernt ein sonderbares Paar kennen und verstrickt sich in eine fatale Ménage-à-trois. Mir hat vor allem der sehr bildreiche Schreibstil gefallen. Der Autor (u.a. auch Reisebuchautor) bringt die zwischenmenschlichen Spannungen und Abhängigkeiten gut auf den Punkt – bis zum überraschenden Ende, das ich Euch jetzt lieber nicht verrate. 😉

–> Hier geht’s zu meiner ausführlichen Rezension.

Denkwürdige Worte

All your secret fears
that are hiding in your head,
now let them go.
Now let them go.

Just a fragile thought
is enough to turn the world.
All your hopes are holding on
for a chance to see a new life.

Aus dem Songtext: Rökkurró – Blue Skies (und übrigens auch ein wunderschönes Lied)

Autoren, die ich im Auge behalten werde

1. Richard Yates

Richard Yates - Eine strahlende Zukunft Richard Yates

Hab gerade letzte Woche seinen Roman „Eine strahlende Zukunft“ ausgelesen, der mich definitiv neugierig auf mehr gemacht hat. Der Autor von „Zeiten des Aufruhrs“ (vor ein paar Jahren sehr eindrucksvoll verfilmt worden) widmet sich auch in diesem Roman dem großen Thema des Scheiterns. Nahezu alle Figuren in „Eine strahlende Zukunft“ haben zu Beginn große Ambitionen, wollen es nach ganz oben schaffen und streben eine glänzende Laufbahn als freischaffende Künstler an. Bloß nicht mittelmäßig sein! Als Leser begleiten wir sie bei ihren (meist) erfolglosen Versuchen, sich ihre Wünsche zu verwirklichen und sehen dabei zu, wie sich ihre Träume Schritt für Schritt in Luft auflösen. Yates ist hierbei meiner Meinung nach ein sehr einfühlsamer Beobachter, der es schafft, die Spannung auf über 500-Seiten-Roman aufrecht zu erhalten. Seine weiteren Romane (hab ich wohl noch einiges vor mir) schreibe ich mir definitiv auf meine lange Lese-Liste.

Leo Tolstoi

2. Die Russen

Im letzten Jahresrückblick hatte ich es mir vorgenommen – und ich hab es wirklich durchgezogen! Ich wollte mehr Russen lesen und in diesem Jahr habe ich sie wirklich verschlungen. Dostojewkis „Spieler„, Turgenjew, Nabokov, Gontscharow und Jerofejew – hui, da war einiges dabei. Ich habe es sehr genossen und werde wohl auch 2016 weiter die Augen offen halten nach talentierten russischen Literaten.

Truman Capote

3. Truman Capote

Truman Capote - Wo die Welt anfängtJa, keine Überraschung, ich weiß. Aber es hat schon seine guten Gründe, warum ich damals diesen Blog nach einem seiner Romane benannt habe. Capote ist und bleibt einfach einer meiner Lieblinge, da er ein großer Sprachkünstler ist, sehr plastisch und lebensnah schreibt und es immer wieder schafft, mich mit seinen skurrilen und sonderbaren Außenseiterfiguren zu begeistern. Gerade heute habe ich mir den Erzählungsband „Wo die Welt anfängt“ gekauft. Diese enthalten Capotes Jugenderzählungen. Bin schon sehr gespannt!

Lieblingsklassiker: Eduard von Keyserling – Wellen

Eduard von Keyserling - WellenLesen ist auch ein Weg in vergangene Epochen zu reisen: Eduard von Keyserlings „Wellen“ entführt uns in das frühe 20. Jahrhundert und schildert das sommerliche Leben in einem Badeort an der Kurischen Nehrung. Die scheinbare Urlaubsidylle wird gestört als der freidenkende Maler Hans Grill und seine Frau, die Gräfin Doralice, auftauchen. In der sehr konservativen Gesellschaft ist diese nicht standesgemäße Ehe überhaupt nicht gern gesehen, doch im Laufe der Handlung wagen einzelne Figuren den zaghaften Versuch aus den starren moralischen Konventionen auszubrechen. Keyserling schildert dies alles so, dass man auch als heutiger Leser noch viel über das Geschriebene nachdenken kann. Der Wunsch nach Freiheit und Selbstverwirklichung sowie die Frage, was im Leben für einen persönlich wirklich wichtig ist – diese und viele weitere im Roman angesprochenen Themen sind auch im 21. Jahrhundert noch modern. Und kaum einer hat sie so treffend auf’s Papier gebracht wie der leider viel zu wenig beachtete Schriftsteller Eduard von Keyserling.

Schönste Zufallsentdeckung: Alfred Hayes – In Love

Alfred Hayes - In LoveAlfred Hayes – noch nie gehört? Dann geht es Euch wie mir vor gut einem halben Jahr. Ich bin wirklich froh, dass mir dieses Buch – natürlich auch wieder durch sein tolles Cover – durch Zufall ins Auge sprang. Der Autor schildert in diesem Roman eine komplizierte Liebesbeziehung  und schafft es dabei eine  wunderbar melancholische Atmosphäre heraufzubeschwören. Mir hat außerdem auch sehr der nahezu filmische Schreibstil gefallen. Muss ich echt mal schauen, was Alfred Hayes noch so geschrieben hat.
–> Hier könnt Ihr meine ausführliche Rezension lesen.

Ich bin nicht warm geworden mit…

J.D. Salinger - Neun ErzählungenSalingers Erzählungen. Ich weiß auch nicht, woran es lag, aber irgendwie haben mich diese überhaupt nicht so gepackt wie sein Coming-of-Age-Roman „Der Fänger im Roggen“. Es passiert mir echt selten, aber dieses Buch hab ich nach der ungefähr dritten gelesenen Story beiseite gelegt. Die Figuren blieben mir verschlossen und das, was mir der Autor durch seine Zeilen mitteilen wollte, auch. Schade. Aber auch solche Erlebnisse gehören zu jedem Lesejahr dazu.

Diese Bücher stehen auf der (Wunsch-)Liste für’s nächste Jahr:

Wieder eine Menge. Daher nur kurz und knapp ein paar Buchcover.

Christopher Isherwood - Goodbye to Berlin Wolfgang Herrndorf - Sand Die Kunst ein kreatives Leben zu führen Truman Capote - In Cold Blood

Wie sieht’s bei Euch aus? Welche Bücher haben Euch in diesem Jahr besonders gut gefallen, welche vielleicht auch nicht? Ich würde mich sehr über Eure Kommentare freuen! Ist doch immer schön, neue Anregungen zu bekommen. Bis bald, Eure Deborah

Ausstellungstipp: Germaine Krull – Fotografien

14 Samstag Nov 2015

Posted by sommerdiebe in Berlin, Fotografie, Kunst

≈ 4 Kommentare

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Ausstellungen, Berlin, Fotografie, Freizeit, Geschichte, Kultur, Kunst, Paris

Germaine Krull 01_Selbstportrait mit Ikarette, um 1925 01_Self-portrait with Icarette, circa 1925 Silbergelatineabzug, 23,6 x 17,5 cm Ankauf dank des Mäzenats von Yves Rocher, 2011. Frühere Sammlung Christian Bouqueret, Centre Pompidou, Paris. Musée national d'art moderne/Centre de creation, industrielle. Gelatin silver print, 23.6 x 17.5 cm Acquired with the support of Yves Rocher, 2011. Former collection Christian Bouqueret, Centre Pompidou, Paris. Musée national d'art mo-derne/Centre de creation, industrielle. © Estate Germaine Krull, Museum Folkwang, Essen, Photo © Centre Pompidou, MNAM-CCI, Dist. RMN-Grand Palais / image Centre, Pompidou, MNAM-CCIWas gibt es Schöneres als an einem blauen Montag in aller Ruhe ins Museum zu gehen? So machte ich mich an meinem freien Tag auf in den Martin-Gropius-Bau, wo derzeit die Retrospektive von Germaine Krull zu sehen ist. Germaine Krull zählt zu den einflussreichsten Fotografinnen des 20. Jahrhunderts. Vor allem in den 1920er und 30er Jahren sorgten sie mit ihren innovativen Fotoideen in der Kunstwelt für Furore. Ihr künstlerisches Schaffen lässt sich in dieser Zeit klar der Strömung des sog. Neuen Sehens zurechnen: Dies war eine ästhetischen Bewegung, die festgefahrene Strukturen in Bezug auf Komposition, Beleuchtung bzw. Belichtung der Fotografie auflockern und stattdessen neue Sichtweisen auf die Wirklichkeit etablieren wollte.

In Germaine Krulls Werk merkt man diesen Anspruch vor allem in ihren Pariser Fotografien. Soll das der Eiffelturm sein? Soll dieses Foto die berühmten Markthallen Les Halles darstellen? Germaine Krull - Les HallesAls Betrachter ist man immer wieder überrascht, wie Krull weltbekannte Sehenswürdigkeiten mit ihrer Kamera einfängt und ist beeindruckt, wie sie es schafft selbst banale und alltägliche Motive und Sujets durch aufregende Perspektiven ins rechte Bild zu rücken. In ihrer Pariser Zeit wurde sie vor allem durch ihre Fotografien von technischen Bauwerken und Industrieanlagen bekannt. Zugleich verstand sie sich selbst als Fotoreporterin, die den Alltag um sich herum mit scharfem Blick beobachtete und in eindrucksvollen Bildserien wie ihrer Clochards-Serie festhielt. In dieser dokumentierte sie das alltägliche Elend der Pariser Obdachlosen zwischen Nôtre Dame und Pont Neuf – und erntete mit diesem damals anstößigen Sujet sicher nicht nur Beifall.

Ob frühe Aktfotografie, Mode- und Werbefotografie oder ihre Werke aus ihrer Zeit als Kriegskorrespondentin – die Ausstellung im Martin-Gropius-Bau wirft einen umfangreichen Blick in das Werk der Künstlerin und zeigt ein breites Spektrum an Themen. Germaine Krull, das wird einem bei diesem Streifzug durch ihre Werke immer klarer, war eine sehr starke und mutige Persönlichkeit. Dies beweist nicht nur ihr überaus kurviger Lebenslauf, der sie bis nach Indochina führte, sondern auch die Konsequenz, mit der sie sich in ihrer Fotokunst über engstirnige Konventionen und moralische Normen ihrer Zeit hinwegsetzte. Eine wirklich faszinierende Fotografin, vor der man nur den Hut ziehen kann.

Martin-Gropius-Bau Berlin
Niederkirchnerstraße 7
10963 Berlin
Mittwoch bis Montag: 10:00–19:00, Dienstag geschlossen
Noch bis zum 31. Januar 2016

Literatur in 300 Wörtern (23): Patrick Modiano – Die Gasse der dunklen Läden

11 Samstag Apr 2015

Posted by sommerdiebe in Literatur

≈ Ein Kommentar

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300 Wörter, Freizeit, Geschichte, Kritik, Kultur, Kurzkritik, lesen, Literatur, Paris, Rezension, Roman, Schriftsteller

Patrick Modiano - Die Gasse der dunklen LädenInhalt in 3 Sätzen: Paris in den 1960er Jahren – ein Mann hat das Gedächtnis verloren und begibt sich auf die Suche nach seiner Vergangenheit. Mithilfe von allerhand teils zwielichtigen teils sonderbaren Zufallsbekanntschaften, alten Fotos, Telefonbüchern und unzähligen anderen Anhaltspunkten, die er auf seinen Streifzügen durch die Metropole erlangt, fügt sich nach und nach ein Mosaik aus verdrängten Erinnerungen zusammen. Doch inwieweit handelt es sich bei dieser wiedererlangten Vergangenheit letztendlich um ein Konstrukt: was ist wahr, was Fiktion?

Lieblingszitat: „Plötzlich regte sich etwas in mir, als würde auf einen Auslöser gedrückt. Der Blick, den ich von diesem Zimmer hatte, rief in mir ein Gefühl der Unruhe, der Besorgnis wach, wie ich sie schon einmal verspürt hatte. Diese Häuserfassade, diese leere Straße, die wachestehenden Schatten in der Dämmerung. Mich beschlich ein Gefühl wie bei einem fast vergessenen Lied oder einem vertrauten Parfum. Ich war mir jetzt sicher, daß ich oft zu dieser Stunde hier gestanden hatte, reglos, hinausspähend, ohne selbst gesehen zu werden und ohne es zu wagen, eine Lampe anzuzünden.“

„Patrick..wer?“ So ging es wohl selbst belesenen Literaturliebhabern, als im letzten Jahr der Name des Literatur-Nobelpreisträgers verkündet wurde. In der Tat handelt es sich bei Modiano um einen noch recht unbekannten Autor, der trotz zahlreicher Veröffentlichungen als Schriftsteller nur kaum und wenn dann nur weit abseits des grellen Rampenlichts wahrgenommen wurde. Zu Unrecht! Modianos Romane spielen meistens in Paris und behandeln zum größten Teil Erinnerungen und den Versuch, die eigene Vergangenheit zu bewältigen. Häufig wird die Besetzung von Paris durch die Nazis und deren Folgen für die Zivilbevölkerung thematisiert. Sein früher Roman „Die Gasse der dunklen Läden“ entfaltet seine Sogwirkung vor allem dadurch, dass sich der Leser gemeinsam mit dem Protagonisten auf Spurensuche begibt. Mit jeder neuen Fremdaussage, jedem noch so vergilbten Schwarzweißfoto beginnt das verworrene Puzzle mehr Struktur zu erlangen. Gleichzeitig lassen sich letztendlich nicht alle Hinweise sinnvoll einfügen – Erinnerungen sind eben doch stark von subjektiven Sichtweisen und Empfindungen geprägt. Der Roman entlässt den Leser also durchaus mit Fragezeichen aus der Erzählung.

Dieser Roman ist für Leser, die sich an schlichter und schnörkelloser Prosa erfreuen. Modiano erzählt eine spannende Identitätssuche, die sich locker-leicht lesen lässt. Ganz nebenbei führen die Spaziergänge der Hauptfigur durch das stimmungsvolle, wenn auch stellenweise sehr düstere Paris. Wer bereits in der französischen Hauptstadt war, wird hier einiges wiedererkennen. Mein Fazit: Dieser Autor verdient definitiv mehr Aufmerksamkeit. Der nächste Modiano-Roman liegt schon zur Lektüre bereit!

Hemingway und Fitzgerald – eine besondere Schriftstellerfreundschaft

20 Samstag Sep 2014

Posted by sommerdiebe in Kunst, Literatur

≈ 6 Kommentare

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Freizeit, Geschichte, kaufen, Kritik, Kultur, Kunst, Kurzkritik, lesen, Lieblingsliteraten, Literatur, Paris, Rezension, schreiben, Schriftsteller, trinken

Hemingway

Der Direkte: Ernest Hemingway

Es gibt kaum zwei Schriftsteller, die so oft in einem Atemzug genannt werden, wie diese: Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald. Die beiden Vertreter der sog. „Lost Generation“, die sich in den 1920er Jahren in Paris vergnügte und einen ganz eigenen Schreibstil hervorbrachte, sind längst in die Literaturgeschichte eingegangen, ebenso wie die enge Freundschaft zwischen diesen beiden großen Exzentrikern bis heute fasziniert. Das bereits vor einem Jahr erschienene Buch „Wir sind verdammt lausige Akrobaten – Eine Freundschaft in Briefen“ wir-sind-verdammt-lausige-abeleuchtet die Beziehung dieser zwei gegensätzlichen Schriftsteller, die sich trotz ihrer Andersartigkeit eine ganze Zeit lang als Freunde und Kollegen brauchten. Erstmals finden sich die Briefe, die sich Hemingway und Fitzgerald über Jahre hinweg schrieben, in deutscher Übersetzung versammelt in einem Band und ermöglichen Einblicke in das Leben beider Schriftsteller, ihre Sorgen und Ängste, aber auch in ihre ganz besondere Freundschaft, die einerseits von großer Begeisterung für das literarische Schaffen des jeweils anderen geprägt war, aber auch von Neid, Missgunst und dem ständigen angstvollem Gefühl, der andere würde mit seinem Werk mehr Erfolg haben und man selbst als der Schwächere von beiden von der literarischen Welt vergessen werden. So finden sich ebenso tröstende Briefe voller Herzenswärme und Mitgefühl, in denen sich beide Autoren gegenseitig Mut machen, wie Briefe, in denen mit großen Honoraren geprotzt wird, oder damit, am heutigen Tag wieder mehrere Kurzgeschichten fertig gestellt zu haben. Es zeigt sich, dass Schriftsteller die erbarmungslosesten Kritiker sind – aber vielleicht auch die ehrlichsten, die die Fähigkeit haben, ein gutes Werk zu einem grandiosen Werk zu machen. So hat sich beispielsweise Hemingway die Anmerkungen und detaillierten Verbesserungsvorschläge seines Freundes Fitzgerald sehr wohl zu Herzen genommen und einige seiner Romane (z.B. Fiesta, In einem anderen Land) auf dessen Anraten hin stellenweise erneut grundlegend gekürzt oder weitere Änderungen vorgenommen.

Fitzgerald

Der Sensible: F. Scott Fitzgerald

Briefe verraten wie kaum ein anderes Medium den Charakter des Schreibenden, dies scheint diese Briefsammlung auch zu zeigen. Da ist Hemingway, der selbstsichere, manchmal großkotzige Mann, der kaum ein Blatt vor den Mund nimmt – und sich mehrmals für seine unsensible Art bei Fitzgerald entschuldigt. Und doch steckt auch hinter diesem Benehmen letztendlich eine verletzbare Schriftstellerseele, die sich mal schüchtern, mal sehr direkt nach der Wirkung seines letzten Romans erkundigt. Vielleicht auch, weil er ahnt, dass er nur von seinem Schriftstellerfreund eine ehrliche und ungeschönte Meinung erhalten wird – während die Literaturszene ihm gerne auch mal Honig ums Maul schmiert. Auch Fitzgeralds Briefe verraten sehr viel über seine labile, teils depressive Gemütsverfassung, in denen er sich immer wieder an seinen treuen „Hem“ wendet und von ihm Trost zu erhoffen scheint. Angetrieben von der Angst, Zeit seines Lebens nicht mehr an den Erfolg seines Welterfolgs „The Great Gatsby“ heranreichen zu können, äußern sich bei ihm oft Versagensängste und Selbstzweifel – die ihn zudem, wie einige Briefe durchschimmern lassen – immer wieder zur Schnapsflasche greifen lassen. Hemingway macht ihm dann auch Mut, aber was für einen!

„Bei einem Roman gibt es nur eins: Man muss geradewegs durchstampfen, bis das verdammte Ding zu Ende ist. […] Zum Teufel. Du hast mehr Material als jeder andere, und Du kümmerst dich auch mehr darum; halt also jetzt um Gottes willen durch und bring es zu Ende, und schreib bitte nichts anderes, bis es fertig ist. Es wird gut sein, verdammt gut!“

Amen. Solche und vielerlei andere lesenswerte Weisheiten über das Leben, das Schreiben und die Kunst, sich nicht verunsichern zu lassen, finden sich also in diesem schmalen Bändchen mit Briefen zwischen zwei Schriftstellern, wie sie bis zum heutigen Tag ihres gleichen suchen. Ein spannendes Dokument einer besonderen Künstlerfreundschaft – nicht nur für eingefleischte Leser von Hemingway und Fitzgerald eine mitreißende Lektüre.

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