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Schlagwort-Archiv: Roman

Lesen 2016 – Mein persönlicher literarischer Jahresrückblick

11 Sonntag Dez 2016

Posted by sommerdiebe in Literatur

≈ 5 Kommentare

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Alltag, Bücher, Freizeit, Kritik, Kultur, Kurzkritik, lesen, Lieblingsliteraten, Literatur, Rezension, Roman, Schriftsteller, Tipps

Der literarische Jahresrückblick, der in meinem Blog schon zu einer kleinen Tradition geworden ist: Es ist wieder soweit, hier ist er wieder! Wie bereits in den letzten Jahren möchte ich auch jetzt wieder auf die Highlights (und Flops) meines Lesejahres zurückblicken.
Zuerst einmal ist mir gerade bei meinem kleinen Fotoshooting eines aufgefallen: Ich habe dieses Jahr 17 Bücher gelesen. Da werden zwar einige andere Buchblogger wohl nur müde lächeln 😉 Allerdings war mein Jahr insgesamt auch sehr turbulent und bis auf meine tägliche Lesestunde auf dem Weg zur Arbeit habe ich in meiner Freizeit eher wenig gelesen. Muss sagen, dass mich diese ganzen Bücher auf einem Haufen dann doch eher überrascht haben. „Was, so viel hab ich tatsächlich gelesen?!“ Und dann fällt mir noch auf, dass ich mich dieses Jahr auch einigen sehr wuchtigen Büchern gewidmet habe…entweder was die Seiten oder den Inhalt angeht. Wie auch immer, hier ist meine Lektüre 2016 auf einem Blick:

Lesen 2016 - Diese Bücher habe ich dieses Jahr gelesen

Lesen 2016 – Diese Bücher habe ich dieses Jahr gelesen

2016 – Ein Capote-Jahr

Dann ist mir noch was aufgefallen. Dieses Jahr war ohne Zweifel ein Capote-Jahr. Lange hat mich mein Lieblingsschriftsteller nicht mehr so ein Beschlag genommen wie 2016: Am Beginn des Jahres las ich seine Jugenderzählungen „Wo die Welt anfängt„, im Sommer ging es dann richtig los: erst habe ich die George-Plimpton-Biografie zum Geburtstag bekommen, dann noch antiquarisch „Truman Capote: Ein intimes Gespräch“ erhalten und verschlungen, schließlich folgte das Highlight: Ich habe endlich „In Cold Blood“ gelesen! Warum hab ich das nicht schon viel früher gemacht? Ein geniales Buch, das berührt und sich der menschlichen Psyche nähert ohne rührselig zu sein oder die Moralkeule zu schwingen.

Meine Top 3

Top 1: Truman Capote – In Cold Blood
In Cold BloodEs kann gar nicht anders sein, der erste Platz geht diesmal ganz klar an Truman Capote. Wie er sich an das sensibles Thema der Ermordung einer amerikanischen Familie und die anschließende Aufklärung des Falls herantastet und Täter, Opfer und sonstige Beteiligte in den Fokus rückt, hat mich schwer beeindruckt. Auch sprachlich (ich hab den Roman sogar extra im Original gelesen) ist „In Cold Blood“ eine Meisterleistung, in der sich Capotes ganzes literarisches Talent offenbart.

Zur ausführlichen Rezension geht’s hier entlang.

Top 2: Karl Ove Knausgard – Lieben
Lieben von Karl Ove KnausgardZugegeben, ich stecke noch im letzten Viertel dieses Buches, kann aber bisher eindeutig sagen, dass sich die Lektüre lohnt. Karl Ove Knausgards Romanzyklus, zu dem auch Bücher wie „Sterben“, „Spielen“, „Leben“ und „Träumen“ zählen, ist ja schon länger im Gespräch – und das völlig zu Recht. Wie der Autor im zweiten Teil „Lieben“ über sein Leben, sein Schreiben und die moderne Gesellschaft reflektiert, ist überaus faszinierend und überhaupt nicht langatmig – wie man das bei einer Romanlänge von rund 700 Seiten ja befürchten könnte. Bis spätestens Weihnachten werde ich „Lieben“ wohl fertig gelesen haben, bald dann mehr darüber 🙂

Top 3: Michel Houellebecq – Unterwerfung
Michel Houellebecq: Unterwerfung„Unterwerfung“ war definitiv dieses Jahr auch ein Buch, das mich gedanklich eine Weile beschäftigt hat und somit auf einem verdienten dritten Platz landet. Houellebecqs Zukunftsvision von einer französischen Gesellschaft, die sich zunehmend dem Islam zuwendet, ist gut recherchiert und eröffnet dem Leser einen tiefgründigen Einblick sowohl in die Kultur-, Literatur- und Geistesgeschichte, als auch in die private Gedankenwelt eines recht durchschnittlichen Bürgers aus dem akademischen Milieu. Viel Stoff zum Nachdenken und wahnsinnig aktuell. Hier geht’s zur ausführlichen Rezension.

Lieblingsbuchcover: Wassererzählungen / Des Tauchers leere Kleider

John von Düffel: WassererzählungenDes Tauchers leere Kleider

Witzig zu sehen, dass mich in diesem Jahr anscheinend maritime Buchcover angesprochen haben 😉 Sowohl auf John von Düffels „Wassererzählungen“ als auch auf Vendela Vidas „Des Tauchers leere Kleider“ ist eine im Pool oder Meer schwimmende Frau zu sehen. Ich kann ja immer nur wieder betonen, dass ich im Buchladen eine typische Kundin bin, die auf schön gestaltete Cover einfach anspringt. Diese beiden Bücher haben mich jedoch auch inhaltlich nicht enttäuscht. „Wassererzählungen“ vereint 11 bildgewaltige Erzählungen rund um das Element Wasser. „Des Tauchers leere Kleider“ berichtet von einer jungen Frau und ihrer aufregenden Suche nach der eigenen Identität.

Einen Autor, den ich im Auge behalten werde:

Peter Stamm

Peter StammPeter Stamm - Nacht ist der Tag

 

 

 

 

 

 

Peter Stamms kleinen aber feinen Erzählungsband „Seerücken“ hatte ich ja schon länger im Regal stehen. Nachdem ich sonst immer nur kurz reingelesen hatte, kam er dieses Jahr endlich zu Ehren. Sprachlich schlicht berichtet Stamm mit viel Einfühlungsvermögen von Paaren, die sich immer weiter voneinander entfernen, von unerfüllten Lebensträumen und Grenzerfahrungen. Auch sein Roman „Nacht ist der Tag“ schafft es, feine Zwischentöne einzufangen und mit wenig Worten und eindrücklichen Bildern vermeintlich Unspektuläres große Bedeutung zu verleihen. Diesen fasznierenden Schweizer Autor schreibe ich definitiv auf meine Leseliste.

Lieblingsklassiker: Kurt Tucholsky – Schloss Gripsholm

Schloss GripsholmBisher hatte ich Kurt Tucholsky eher wenig auf dem Schirm. Durch Zufall bin ich bei Spotify jedoch auf das Hörbuch von „Schloss Gripsholm“ gestoßen, gelesen von Alexis Krüger. Wirklich eine sehr schön geschriebene Sommererzählung, die sprachlich nur vor originellen Einfällen sprüht und mir mehr als einen kalten Dezemberabend versüßt hat. Entspannt auf dem Sofa sitzen, Tee trinken und in das ferne sommerliche Schweden reisen – wirklich eine tolle Sache. Überhaupt sollte ich wieder viel öfter ein Hörbuch hören. Irgendwelche Tipps?

Ich bin nicht warm geworden mit…

Edith Pearlman - HoneydewIch erwähnte ja schon, dass ich im Buchladen oft auf schöne Buchcover anspringe. Man kann damit auch auf die Nase fallen 😉 So verliebte ich mich im Buchladen gleich in das tolle Aussehen von Edith Pearlmans „Honeydew“. Samtig, blau, glänzende Schrift, herrlich. Aber der Inhalt..nun ja. Die Erzählungen sind sprachlich durchaus interessant, aber blieben mir inhaltlich verschlossen. „Worauf will die Autorin hinaus? Wie, die Erzählung ist schon zuende? Aber es doch noch gar nichts passiert.“ So in etwa meine Gedanken bei der Lektüre. Schade. Vielleicht eine Lehre für mich, mich künftig nicht nur von der schönen Oberfläche blenden zu lassen 😉

Wunschliste für’s neue Jahr

Gute Frage, aber diese Bücher stehen auf der Liste der Titel, die ich möglicherweise nächste Jahr lese. Bei ein paar lauer ich auch noch darauf, dass es als Taschenbuch rauskommt 😉

Karl Ove Knausgart - SterbenDie Welt im RückenAuferstehung von Tolstoi

Wie war Euer Lesejahr 2016? Was waren Eure Highlights und Flops? Ich freue mich über Eure Einblicke und Anregungen 🙂

Literatur in 300 Wörtern (35): Vendela Vida – Des Tauchers leere Kleider

26 Samstag Nov 2016

Posted by sommerdiebe in Literatur

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300 Wörter, Freizeit, Kritik, Kultur, Kurzkritik, lesen, Literatur, Rezension, Roman

Des Tauchers leere KleiderInhalt in 3 Sätzen: Eine junge Amerikanerin reist nach Casablanca und wird gleich am ersten Tag im Hotel bestohlen: Reisepass, Kreditkarte, persönliche Dinge – alles weg! Zunächst versucht sie mithilfe der Hoteldirektion und der örtlichen Polizei zurück an ihre Sachen zu gelangen, doch diese scheinen kein großes Interesse an der Aufklärung des Diebstahls zu haben. Dann taucht auf der Polizeistation plötzlich ein Rucksack und ein amerikanischer Pass auf – die junge Frau klärt den Irrtum nicht auf und nimmt kurzerhand die fremde Identität an…

Lieblingszitat: „Der Polizeichef streckt dir seine Hand entgegen und du nimmst sie. Er schüttelt sie dir kräftig und bedeutungsvoll: Du verstehst, dass er damit sagen will, hier wurde eine Abmachung getroffen, und du hast deine Seite einzuhalten. Du spürst, wie sich eine Warze am Rand seines Daumens in den Rand deines  Daumens drückt. Nach einer gefühlten Minute lässt er deine Hand los.“

Ein bisschen Hitchcock, ein klein wenig Patricia Highsmith und vielleicht auch eine Prise Max Frisch – Das alles steckt in der von Anfang an sehr merkwürdig erscheinenden Handlung von „Des Tauchers leere Kleider„. Wovor läuft die Protagonistin davon? Und vor allem, was bewegt sie dazu, ihre alte Identität so einfach von einem auf den anderen Tag abzulegen? Der Roman ist spannend von der ersten Seite an und wird im Verlauf immer rätselhafter. Die namenlose Hauptfigur verwickelt sich immer tiefer in ein komplexes Netz aus verschiedenen Identitäten, Lügen und ihrer eigenen Vergangenheit, die sie aus guten Gründen hinter sich lassen möchte. Gesteigert wird die nervenaufreibende Stimmung noch durch die außergewöhnliche Erzählperspektive, denn der ganze Roman wird in der zweiten Person Singular berichtet. Was anfangs vielleicht noch gewöhnungsbedürftig erscheint, trägt aber auch zu einem starken Gefühl von Unmittelbarkeit beim Leser bei. Wir alle stecken mit drin in diesem Komplott und lernen schlussendlich auch als Einzige, was hinter allem steckt.

Dieses Buch ist für alle Leser, die einen spannenden und dennoch tiefgründigen Roman lesen möchten. Die Geschichte kreist letztendlich auch um eine zentrale philosophische Frage: Was macht uns zu dem, was wir sind? Unsere Charaktereigenschaften, unsere Vergangenheit und Erfahrungen oder die Menschen, mit denen wir uns umgeben? Eingebettet in eine thrillerartige Atmosphäre erzählt „Des Tauchers leere Kleider“ die Geschichte eines Neuanfangs und regt gleichzeitig zum Nachdenken an.

TV-Tipp: Truman Capote – Enfant terrible der amerikanischen Literatur

20 Sonntag Nov 2016

Posted by sommerdiebe in Literatur

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Dandys, Fernsehen, Film, Freizeit, Kultur, Kurzkritik, Lieblingsliteraten, Literatur, Roman, Schriftsteller, Truman Capote, TV, TV-Tipp

http://www.arte.tv/guide/de/058385-000-A/truman-capote-enfant-terrible-der-amerikanischen-literatur

Ob seine herausragenden literarischen Werke wie „Frühstück bei Tiffany“ und „Kaltblütig“ oder seine legendären Parties und Auftritte in der New Yorker High Society: Kaum ein amerikanischer Schriftsteller sorgte im vergangenen Jahrhundert für mehr Furore als Truman Capote. Arte hat dem faszinierenden Genie am Mittwoch einen ganzen Abend gewidmet. Unter anderem lief auch eine schöne Doku, die sein Leben und literarisches Wirken anschaulich und sehr kurzweilig beleuchtete: Von seinen literarischen Anfängen als Jugendlicher in den Südstaaten über seine ersten größeren Erfolge bis hin zu seinem Absturz und Ausstoß aus der feinen Gesellschaft. In der Doku kommen zahlreiche Weggefährten zu Wort, aber auch Stimmen aus der gewärtigen Literatur- und Verlagsszene wie Daniel Kehlmann und der Kein-und-Aber-Verleger Peter Haag berichten von ihrer persönlichen und beruflichen Auseinandersetzung mit Capotes Werken.

Für mich als leidenschaftliche Capote-Leserin war die Doku wieder mal eine kleine Auffrischung. Ich habe längst noch nicht alles von ihm gelesen und habe durch die Doku auf jeden Fall schöne Leseanregungen bekommen. Allen, die sich einen Überblick über diesen schillernden Schriftsteller verschaffen wollen, lege ich die Doku sehr ans Herz. Sie liegt noch bis zum 16. Dezember in der Arte Mediathek. Und/Oder werft einen Blick in George Plimptons Biografie. Auch sehr lesenwert.

Viel Spaß beim Anschauen und Capote-Lesen!

Truman Capote – In Cold Blood

16 Sonntag Okt 2016

Posted by sommerdiebe in Literatur

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Bücher, Geschichte, Journalismus, Kritik, Kultur, Kurzkritik, lesen, Lieblingsliteraten, Literatur, Rezension, Roman, Truman Capote

In Cold BloodDas Unbegreifliche begreifbar machen. So oder so ähnlich könnte man Truman Capotes literarisches Verfahren in seinem Hauptwerk, dem Roman „In Cold Blood“ in etwa beschreiben. Nach seinem Weltbestseller „Breakfast at Tiffany’s“ erfährt er durch einen Zeitungsartikel von einem Mord an der 4-köpfigen Familie Clutter in Holcomb, Kansas. Capote ist fasziniert und macht sich gemeinsam mit seiner langjährigen Freundin, der Schriftstellerin Harper Lee, auf den Weg, um den Fall zu untersuchen und journalistisch zu verarbeiten. Das Projekt wird größer als erwartet. Insgesamt 6 Jahre widmet sich Capote schließlich seinem Tatsachenroman „In Cold Blood“, der in der literaturwissenschaftlichen Forschung in der Regel dem Genre des New Journalism zugeordnet wird. Dieses Genre verbindet die nüchterne Beschreibung von realen Personen und Geschehnissen, greift jedoch auch verstärkt auf literarische Stilmittel zurück – und hält sich nicht immer so eng an die Realität, wie dies bei einem Zeitungsartikel der Fall wäre. Fiktion und Wirklichkeit verbinden sich im Tatsachenroman auf kunstvolle Weise.

Richard Hickock und Perry SmithWer waren die Opfer? Wie lebten sie? Wer waren die Täter? Capote begibt sich in seinem Roman tief in den Kriminalfall und deckt jedes noch so kleine Detail ab. Natürlich steht die Frage nach dem „Warum“ wie so häufig bei grausamen Mordfällen am stärksten im Vordergrund. Was hat zwei Männer dazu bewegt, eine ihnen völlig unbekannte Familie umzubringen? Geldgier? Oder steckt mehr dahinter?
Capote macht sich die Beantwortung dieser zentralen Frage nicht leicht. Wie einfach wäre es doch die beiden Täter Perry Smith und Richard Hickock als habgierige Psychopathen abzustempeln, wie dies ja gerade von Boulevardmedien gerne vorschnell betrieben wird. Stattdessen nimmt er sich in seinem über 300-Seiten-starken Roman die Zeit, die persönlichen Hintergründe zu beleuchten, die einen Menschen zu brutalen Verbrechen wie der Ermordung einer wohlhabenden Farmerfamilie treiben können. Selbsthass und die Enttäuschung, im eigenen Leben nichts erreicht zu haben, so lautet etwa das Motiv, das einer der Täter, Perry Smith, bei zahlreichen intensiven Gesprächen mit Capote angibt: „Ich hatte nichts gegen sie, und sie haben mir nie ein Unrecht zugefügt – wie es andere Menschen mein Leben lang getan haben. Vielleicht waren sie einfach diejenigen, die dafür bezahlen mussten.“

Der Roman begleitet die Opfer, Täter, Zeugen, Ermittler und sonstigen in den Fall involvierten Personen bis zur Hinrichtung am 14. April 1965. Ein großer Verdienst von Capote ist sicher, dass er sich so intensiv mit dem Mordfall beschäftigt, Beteiligte zu Wort kommen lässt und letzten Endes selbst den Mördern eine Stimme gibt – und trotz der Schwere ihres Verbrechens – ihre Menschlichkeit aufzeigt. Ein Mensch wird nicht als Mörder geboren – die Gesellschaft, die persönlichen Umstände, seine Persönlichkeit und negativen Erfahrungen (und andere Faktoren) lassen ihn erst zum Mörder werden. Ist die Todesstrafe eine gerechte Strafe? Inwieweit sollte die psychische Verfassung eines Täters bei der Verurteilung berücksichtigt werden? Der Roman kommt ohne moralischen Zeigefinger aus, überlässt letztendlich dem Leser, die Bewertung der geschilderten Ereignisse. Ein starkes aufwühlendes Werk, das noch lange nachwirkt. Hut ab, Truman Capote!

Theater: Houellebecqs „Unterwerfung“ im Deutschen Theater Berlin

02 Donnerstag Jun 2016

Posted by sommerdiebe in Berlin, Literatur, Theater

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Berlin, Freizeit, Kritik, Kultur, Kurzkritik, Literatur, Rezension, Roman, Theater

Unterwerfung im Deutschen Theater Berlin Rezension

Den Roman „Unterwerfung„ auf die Bühne bringen – sicher kein leichtes Unterfangen. Doch aus genau diesem Grund war ich auch sehr gespannt, wie Houellebecqs Untergangsvision vom Deutschen Theater adaptiert werden würde.

Stephan Kimmigs Inszenierung setzt auf ein recht schlichtes, steriles und nahezu unwirklich erscheinendes Bühnenbild: Ein großer weißer Krankenhausraum mit einigen wenigen Requisiten wie einem Klinikbett und einem modernen Drehstuhl. Protagonist Francois (Steven Scharf), im Buch wie auf der Bühne ein lustloser und vereinsamter Intellektueller, wirkt in diesem kargen Raum tatsächlich von Anfang an sehr verloren. Francois – so legt das Theaterstück nahe – steht stellvertretend für die Krise, in der Europa gerade steckt, zeigt die Verlorenheit von Intellektuellen, in einer Zeit, in der Statussymbole und der Kontostand das Wichtigste sind und die Religion keinen Halt mehr zu geben scheint.

Ausgehend von dieser „Krankenhaussituation“, in der die Hauptfigur immer wieder Besuch von den unterschiedlichsten politischen Anhängern bekommt – von den Identären, von der Rechtspopulistin Le Pen oder später vom neuen Präsidenten Ben Abbes – werden dem Zuschauer Stück für Stück Houellebecqs Thesen präsentiert. Die Handlung des Romans wird nicht immer 1:1 chronologisch auf der Bühne erzählt – für Romanleser ist das kein Problem, für alle anderen an der einen oder anderen Stelle aber bestimmt durchaus verwirrend. Die Theaterinszenierung ist mit Vorwissen sicher um einiges besser zu verstehen – denn die insgesamt 5 Schauspieler (mit Ausnahme der Hauptfigur) spielen immer gleich mehrere Rollen. So schlüpft beispielsweise Lorna Ishema innerhalb von wenigen Momenten in die Rolle einer Krankenschwester, wettert als Marine Le Pen gegen die EU oder mimt wenige Augenblicke später die verführerische Freundin von Francois – die junge Studentin Myriam. Dies gibt dem Stück insgesamt viel Dynamik und sorgt für Abwechslung in dem doch sehr handlungsarmen Stück.

Denn  – dies ist sicher die große Schwierigkeit bei der Adaption von „Unterwerfung“: Houellebecqs Roman ist ingesamt ein sehr theoretischer Roman, besteht aus Thesen und gibt den meisten Figuren lediglich den Raum, ihren Standpunkt zu erläutern. Ich erinnere mich noch selbst meine Lektüre von „Unterwerfung“ und an die sehr dialoglastige Struktur des Romans. Das Theater lebt als Medium hingegen mehr von der Aktion auf der Bühne. Im Großen und Ganzen ist es Regisseur Stephan Kimmig zwar ohne Zweifel gelungen, Houellebeqcs Thesen zu verdeutlichen – sie in einer Art Schnelldurchlauf auf die Bühne zu bringen. Gleichzeitig würde ich mich jedoch auch der Meinung vieler Rezensenten anschließen, dass Houellebecqs Stoff an diesem Abend ein wenig die Provokation und Brisanz genommen wurde. Oder entsteht dieser Eindruck, weil unterdessen schon so viel über „Unterwerfung“ diskutiert wurde?!
Die Inszenierung ließ mich zwar nicht kalt und lieferte mir durchaus genug Denkstoff für den Heimweg – um Houellebecqs Zukunftsvision und seine Thesen zum Zustand der modernen westlichen Gesellschaft jedoch gänzlich zu erfassen, führt dennoch kein Weg an der Lektüre seines Romans vorbei.

Unterwerfung (Regie: Stephan Kimmig)
nächste Termine:
7. , 16. und 29. Juni 2016

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